Verursacht ein nicht vorfahrtsberechtigter PKW-Fahrer an einer Ausfahrt aus einem Werksgelände mit seinem PKW einen Unfall mit einer auf dem kreuzenden Radweg vorfahrtsberechtigten Radfahrerin, so ist trotz entsprechender Beschilderung auf dem Radweg (Hinweis auf Werksausfahrt) ein Mitverschulden der Radfahrerin nicht begründbar (Leitsatz med|re)
Die von Fachanwalt für Medizinrecht vertretene Unfallgeschädigte befuhr mit ihrem Fahrrad in ordnungsgemäßer Weise einen Radweg, der eine Werksausfahrt kreuzt. Auf dem Radweg ist ein Verkehrsschild mit dem Hinweis auf die Werksausfahrt angebracht. Die Radfahrer auf dem Radweg sind vorfahrtsberechtigt.
Der mit seinem PKW aus der Werksausfahrt kommende Unfallgegner übersah die Radfahrerin und rammte diese, worauf diese stürzte und sich schwerste Verletzungen zugezogen hatte, die einen erheblichen Dauerschaden nach sich ziehen. Die Geschädigte hatte neben Schürf- und Platzwunden insbesondere multiple Wirbelbrüche erlitten, einen Schädelbruch und befindet sich seither auch in psychologischer Behandlung. Sie ist auch drei Jahre nach dem Unfall noch in allen Richtungen bewegungseingeschränkt, war lange vollkommen arbeitsunfähig und wird dauerhaft auf Behandlungen angewiesen sein. In ihrer Erwerbstätigkeit ist die Geschädigte eingeschränkt. Es liegt zudem eine Einschränkung in der Haushaltsführung auf Lebzeiten vor. Das Schadensvolumen liegt in einem hohen sechsstelligen Bereich.
Die Unfallgeschädigte wurde vormals von einem Anwalt in München vertreten. Diesem gegenüber wurde seitens der Haftpflichtversicherung die Haftung dem Grunde nach in Höhe von 2/3 anerkannt, was mehrmals mitgeteilt wurde. In Höhe von 1/3 wurde wegen der Beschilderung am Radweg ein Mitverschulden der Radfahrerin eingewendet.
Fachanwalt Leitner hatte zunächst diesen Aspekt vertieft und gegenüber der Haftpflichtversicherung dargelegt, dass bei dieser Sachlage kein Raum für ein Mitverschulden ist, so dass die Haftpflichtversicherung anschließend ihre Eintrittspflicht zu 100% anerkannt hatte und vom bislang hartnäckig vorgebrachten Einwand des Mitverschuldens vollständig abgerückt ist.
Bereits der Anscheinsbeweis sprach hier für eine Alleinhaftung des Verursachers. Es wäre daher durch die Versicherung der Anscheinsbeweis zu widerlegen gewesen, wobei Maßstab dabei der Strengbeweis § 286 ZPO ist. Eine Mithaftung kann nur bei feststehendem oder vermutetem Mitverschulden in Betracht kommen. Weder stand ein solches hier jedoch fest, noch gab es tragfähige Anhaltspunkte für eine derartige Vermutung. Es war klar von der Alleinschuld des PKW-Fahrers auszugehen. Für ihn war der Unfall vorhersehbar und vermeidbar. Der PKW-Fahrer unterlag sogar erhöhten Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO, wonach er hat sich so zu verhalten gehabt hätte, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Erforderlichenfalls hätte sich der Unfallverursacher bei der Ausfahrt sogar einweisen lassen müssen.
Die Alleinhaftung des Verursachers deckt sich auch mit der gängigen Rechtsprechung in ähnlichen Konstellationen. Bei Vorfahrt des Radfahrers und sonstigen Vorfahrtsverstößen des Kfz-Fahrers ist schon in der Regel von einer Alleinhaftung des Kfz-Fahrers auszugehen (Grüneberg in Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 14. Aufl. 2015, Rn 371 m.w.N.). Kollidiert ein Radfahrer, der erlaubtermaßen auf der Vorfahrtsstraße den für ihn linken Radweg benutzt, mit einem aus einer Einmündung kommenden PKW, so haftet der Fahrer des Kfz zu 100% (Grüneberg a.a.O., Rn 370 a.E.). In der Fallgruppe „Vorfahrt des Radfahrers, Radfahrer benutzt linken Radweg“ bei Grüneberg ist bei Unfällen nach dem 01.10.1998 ohnehin stets eine Haftungsverteilung zugunsten des Radfahrers vorzunehmen (Grüneberg a.a.O., Rn 370, Vorbemerkung).