Nachwirkende Fürsorge- und Schutzpflicht des Arztes

Auch nach dem Behandlungsende trifft den Arzt jedenfalls bei bedrohlichen Befunden eine nachwirkende Fürsorge- und Schutzpflicht, deren Verstoß einen Behandlungsfehler darstellt.

Der Bundesgerichtshof hat mit aktuellem Urteil vom 26.6.2018 entschieden, dass einen Arzt auch nach dem Behandlungsende eine Fürsorge- und Schutzpflicht trifft. Im zugrunde liegenden Fall erlangte der Arzt nachträglich Kenntnis von bedrohlichen Befunden seines Patienten, nachdem die Behandlung bei dem Arzt bereits beendet war und der Patient sich seit fünf Monaten nicht mehr beim Arzt vorgestellt hatte. Hinsichtlich der Frage, ob der Verstoß gegen die nachwirkende Fürsorgepflicht im konkreten Fall unter Berücksichtigung der gängigen Definitionen als grob oder als einfacher Fehler einzustufen ist, hat der Bundesgerichtshof die Angelegenheit dem Berufungsgericht zur weiteren Beweiserhebung zurück verwiesen.

Beweislastumkehr im Geburtsschadensfall bei Zwillingsschwangerschaft

Unterbleibt bei einer Zwillingsschwangerschaft die Anordnung einer erforderlichen Dopplersonographie, so liegt zwar lediglich ein einfacher Befunderhebungsfehler vor. Allerdings wären im Falle der Anordnung der Dopplersonographie die Zwillinge vermessen worden und dabei wären Wachstumsunterschiede festgestellt worden, was wiederum einen reaktionspflichtigen Befund zur Folge gehabt hätte, auf den eine Untätigkeit unverständlich gewesen wäre. Damit hat der einfache Befunderhebungsfehler eine Beweislastumkehr zu Lasten des Gynäkologen zur Folge, sodass ein grober Fehler vorliegt (Leitsatz med|re).

Eine nicht erkannte Wachstumsretardierung bei Zwillingen führt in aller Regel zu sehr schweren gesundheitlichen Schäden zumindest eines der beiden Zwillinge, sofern diese – wie zum Glück hier – überhaupt überleben. Bereits im Jahre 2012 wurde eine Arzthaftungsklage vor dem Landgericht Karlsruhe gegen eine Gynäkologin eingereicht. Das klagende Kind und seine Eltern wurden ursprünglich von stets wechselnden und teils auch unerfahrenen Anwälten einer „Patientenanwalts“-Kanzlei in München vertreten. Aufgrund der Klage hatte das Landgericht zunächst zwei schriftliche Sachverständigengutachten eingeholt, die dann auch schriftlich ergänzt wurden. Die schriftlichen Begutachtungen, die sich an dem Beweisbeschluss auf der Basis der Klageschrift der Vorkanzlei orientierten, ergaben unisono keinen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen den geltenden Facharztstandard der Gynäkologie. Im weiteren Verlauf hat Fachanwalt für Medizinrecht Leitner die Bearbeitung übernommen und fortan sehr eng und intensiv mit dem Vater des geschädigten Kindes zusammengearbeitet. Fachanwalt Leitner begleitete mit den Eltern sämtliche Anhörungen der Sachverständigen vor Gericht. Der intensive fachliche Austausch von Fachanwalt Leitner und dem Vater des geschädigten Kindes fruchtete letztendlich auch:
In der ersten Anhörung verteidigte einer der Sachverständigen noch das für die Kläger negative Ergebnis. In der zweiten Anhörung, die aufgrund der klägerischen Stellungnahme erforderlich wurde, haben beide eingeschalteten Sachverständige ihre Ansicht leicht modifiziert. In der schließlich folgenden dritten Anhörung des Sachverständigen kristallisierte sich sodann endlich im Sinne der Kläger ein grober Befunderhebungsfehler heraus.

Die sachverständig beratene Arzthaftungskammer des Landgerichts Karlsruhe geht deswegen inzwischen zutreffend von einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs für den Primärschaden des geschädigten Kindes aus. Ansatzpunkt hierfür war der ursprünglich anvisierte voraussichtliche Geburtstermin seitens der Gynäkologin. Die beklagte Ärztin drang mit ihren Angaben vor Gericht nicht durch, da diese im Laufe des Verfahrens widersprüchlich waren und auch nicht mit den Schwangerschaftswochen, die im Mutterschaftspass dokumentiert sind, in Einklang zu bringen sind.

Die Arzthaftungskammer geht zutreffend darüber hinaus auch davon aus, dass ein einfacher Befunderhebungsfehler mit der Folge eine Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang darin zu sehen ist, dass bei der Anordnung der erforderlichen Dopplersonographie die Kinder auch vermessen worden wären und dabei die Wachstumsunterschiede festgestellt worden wären. Das hätte einen reaktionspflichtigen Befund zur Folge gehabt, auf den eine Untätigkeit unverständlich gewesen wäre. Die Gynäkologin ist nunmehr in der Beweispflicht dafür, dass die eingetretenen Schäden nicht auf dem groben Fehler beruhen.

Ein Vergleich, der ja gerade mal eine (hohe) sechsstellige Zahl zum Inhalt haben könnte, wird angesichts der enormen Schadenshöhe in der Zukunft nach dem derzeitigen Stand der Dinge diesseits von Fachanwalt Leitner nicht angeraten werden; auch die Versicherung hat von sich aus noch kein Angebot unterbreitet, so dass die Beweisaufnahme fortgesetzt wird.

Verpflichtung des Arztes zur aktiven Erforschung von Krankheitsanzeichen

Unterlässt ein Psychiater aktiv die Exploration hinsichtlich einer bipolaren Störung des Patienten im Wege der Drittanamnese, so ist dies behandlungsfehlerhaft (Leitsatz med|re)

In den News vom 7.8.2017 hat die Fachkanzlei Leitner unterrichtet, dass die Gerichtspsychiaterin Hanna Z. erfolgreich im Zivilverfahren wegen Befangenheit ausgewechselt worden ist. Die Gerichtspsychiaterin hatte in ihrem Gutachten einen Behandlungsfehler nicht einmal in Betracht gezogen, sondern dargelegt, dass der beklagte Arzt “so erfahren” sei, dass er die Krankheit des Patienten – läge sie denn vor – “sicherlich erkannt” hätte. Eine solche Gutachterin ist natürlich von vornherein voreingenommen und musste ausgewechselt werden. Das hat das Landgericht München II auch so bestätigt.

Nun liegt das Gutachten eines neutralen Gerichtsgutachters vor. Dem beklagten Arzt wurde in der Klage des von Fachanwalt für Medizinrecht Leitner vertretenen Patienten vorgeworfen, dass er Mitteilungen der Ehefrau des Klägers ignoriert hat. Der neu beauftragte Gerichtsgutachter hat nun klar und nachvollziehbar dargestellt, dass ein Psychiater im Wege der Drittanamnese verpflichtet ist, aktiv bestimmte Krankheitsanzeichen eines Patienten zu erforschen, so dass das Vorgehen des beklagten Arztes nicht verständlich war. Der Gerichtsgutachter bestätigt in seinem fundierten Gutachten auf der Ebene im medizinischen Bereich in fast allen Punkten den Vortrag des Medizinfachanwalts Leitner. Die Klage fußt maßgeblich auf dem Vorwurf, dass der beklagte Arzt unbedingt und frühzeitig die Ehefrau des Klägers in die Behandlung mit hätte einbeziehen müssen. Das ist nicht geschehen.

Es steht damit zu erwarten, dass der beklagte Arzt verurteilt wird.

Der falsch behandelte Patient hatte infolge seiner psychischen Störung zahlreiche Kredite aufgenommen, die einen außerordentlich hohen Umfang einnehmen. Mit der Schmerzensgeldforderung, dem Schadensersatz und dem Feststellungsantrag steht insgesamt ein hoher sechsstelliger Bereich zwischen den Parteien in Streit. Dazu wäre es nicht kommen, wenn der beklagte Arzt von Anfang an die Behandlung in die richtigen Bahnen geführt hätte.

Grober Behandlungsfehler bei unterlassener Wundschau

Die postoperative Kontrolle der Wundheilung in regelmäßigen Intervallen ist Bestandteil der Behandlung (Leitsatz med|re)

Bei dem von Fachanwalt für Medizinrecht Leitner vertretenen Patienten wurde in einer herzchirurgischen Einrichtung eine operative Versorgung einer Myokardrevaskularisation (Eingriff zur Verbesserung der Blutzirkulation am Herzen) vorgenommen. Stellen sich bei einem solchen Eingriff bei einem risikobelasteten Patienten Wundheilungsstörungen ein, so handelt es sich in aller Regel um Komplikationen des Eingriffs. Das gilt vor allem dann, wenn mehrere Risikofaktoren bei Patienten, z.B. COPD, hohes Alter und Niereninsuffizienz, die allesamt eine Wundheilungsstörung begünstigen, zusammenkommen. Solche Komplikationen lösen regelmäßig nur dann Ansprüche der Arthaftung aus, wenn die präoperative Aufklärung fehlerhaft war, wobei hier die Frage der Alternativentscheidung im Falle zutreffender Aufklärung eher schwierig plausibel darzulegen ist. Die Klinik schuldet allerdings in jedem Fall eine durchgehende Wundkontrolle, um derartige Komplikationen frühzeitig zu erkennen und wenigstens abzumildern.

Im Fall des von Fachanwalt Leitner vertretenen Patienten sind weiterführende diesbezügliche Untersuchungen in den Krankenunterlagen allerdings nicht zu finden. Insbesondere finden sich auch keine Vermerke zu einer ärztlichen Wundschau, so dass bis einschließlich zum Entlassungstag keine Aussage getroffen werden kann, ob die Wundheilung tatsächlich regelhaft verlief und das Sternum zum Zeitpunkt der Entlassung stabil war, so wie es im Verlegungsbericht niedergelegt ist. Auch zu der durchgeführten, mehrfachen, hochdosierten intravenösen Cortisonvergabe findet sich keine ärztliche Begründung. Die hochdosierte rezidivierende Cortisongabe am Entlasstag kann ohne Weiteres die Entstehung einer Wundheilungsstörung erheblich mitbegünstigt haben. Die Wundheilungsstörung bestand angesichts des Aufnahmebefundes der nachfolgenden Einrichtung, einer Rehabilitationsklinik, jedenfalls sicher zum Entlassungszeitpunkt der behandelnden herzchirurgischen Klinik. Da sich an keinem Tage des postoperativen Verlaufes auf der Normalstation eine ärztliche Eintragung bezüglich der Wunde befindet, muss davon ausgegangen werden, dass solche Wundschauen nicht regelhaft bzw. gar nicht durchgeführt worden sind. Nach gerichtsgutachterlicher Einschätzung hätten diese aber zwingend dokumentiert werden müssen.

Damit war nach gerichtgutachterlicher Meinung die Verlegung in eine Rehabilitationsklinik bei dem Patienten fehlerhaft. Vor allem in Anbetracht des dokumentierten Aufnahmebefundes am gleichen Tage muss der Verlegungsbrief aus der verlegenden Klinik, die den Eingriff durchgeführt hatte, als behandlunfgsfehlerhaft angesehen werden. Die Beschreibung der Wunde und des Sternums im Entlassungsbrief der Klinik hat in den mannigfaltigen Unterlagen, die der gerichtsgutachterlichen Prüfung zugrunde lagen, keine Grundlage. Der gerichtliche Sachverständige postuliert weiter, dass zwingend davon auszugehen sei, dass “bereits bei einer abschließenden Wundkontrolle des Sternums mit manueller Überprüfung der Wunde und der Krepitationen des Sternums dieses noch vor der Entlassung aufgefallen wäre“. Daraus hätte sich eine unmittelbare operative Revision, wie sie schließlich später erfolgt ist, ergeben. “Möglicherweise hätte auch eine alleinige Neuverdrahtung oder andere Osteosynthese des Sternums ausgereicht, zumindest aber hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende radiologische Diagnostik durch Sternumzielaufnahme oder Computertomographie eine SternuminstabiIität ergeben“, so der Sachverständige. Das Fehlen jeglicher Wundschau bzw. das Fehlen jeglicher Dokumentation einer solchen stuft der gerichtliche Sachverständige als groben Behandlungsfehler ein. Denn in jedem operativen Fach, so auch in der Herzchirurgie, gehört die Kontrolle der Wundheilung insbesondere durch Inspektion und Palpation und auch Verbandswechsel in regelmäßigen Intervallen zur Behandlung dazu.

Schmerzensgeld für Hinterbliebene jetzt gesetzlich geregelt

Fachanwalt für Medizinrecht Leitner informiert: Schmerzensgeld für Angehörige ist nun gesetzlich geregelt.

Das in der bisherigen Rechtsprechung anerkannte Schmerzensgeld für Angehörige wurde unter dem Begriff des „Schockschadens“ behandelt und war im Gesetz bislang nie eigens normiert. Nun findet sich eine gesetzliche Regelung in § 844 Abs. 3 BGB, die einen eigenen Schmerzensgeldanspruch für Angehörige vorsieht. Die gesetzliche Formulierung, die am 22.07.2017 in Kraft getreten ist, lautet:

Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.

Zu den Voraussetzungen im Einzelnen klärt Fachanwalt für Medizinrecht Leitner gerne auf. Kontaktieren Sie mich!

 

Zur Mithaftung eines Radfahrers

Verursacht ein nicht vorfahrtsberechtigter PKW-Fahrer an einer Ausfahrt aus einem Werksgelände mit seinem PKW einen Unfall mit einer auf dem kreuzenden Radweg vorfahrtsberechtigten Radfahrerin, so ist trotz entsprechender Beschilderung auf dem Radweg (Hinweis auf Werksausfahrt) ein Mitverschulden der Radfahrerin nicht begründbar (Leitsatz med|re)

Die von Fachanwalt für Medizinrecht vertretene Unfallgeschädigte befuhr mit ihrem Fahrrad in ordnungsgemäßer Weise einen Radweg, der eine Werksausfahrt kreuzt. Auf dem Radweg ist ein Verkehrsschild mit dem Hinweis auf die Werksausfahrt angebracht. Die Radfahrer auf dem Radweg sind vorfahrtsberechtigt.

Der mit seinem PKW aus der Werksausfahrt kommende Unfallgegner übersah die Radfahrerin und rammte diese, worauf diese stürzte und sich schwerste Verletzungen zugezogen hatte, die einen erheblichen Dauerschaden nach sich ziehen. Die Geschädigte hatte neben Schürf- und Platzwunden insbesondere multiple Wirbelbrüche erlitten, einen Schädelbruch und befindet sich seither auch in psychologischer Behandlung. Sie ist auch drei Jahre nach dem Unfall noch in allen Richtungen bewegungseingeschränkt, war lange vollkommen arbeitsunfähig und wird dauerhaft auf Behandlungen angewiesen sein. In ihrer Erwerbstätigkeit ist die Geschädigte eingeschränkt. Es liegt zudem eine Einschränkung in der Haushaltsführung auf Lebzeiten vor. Das Schadensvolumen liegt in einem hohen sechsstelligen Bereich.

Die Unfallgeschädigte wurde vormals von einem Anwalt in München vertreten. Diesem gegenüber wurde seitens der Haftpflichtversicherung die Haftung dem Grunde nach in Höhe von 2/3 anerkannt, was mehrmals mitgeteilt wurde. In Höhe von 1/3 wurde wegen der Beschilderung am Radweg ein Mitverschulden der Radfahrerin eingewendet.

Fachanwalt Leitner hatte zunächst diesen Aspekt vertieft und gegenüber der Haftpflichtversicherung dargelegt, dass bei dieser Sachlage kein Raum für ein Mitverschulden ist, so dass die Haftpflichtversicherung anschließend ihre Eintrittspflicht zu 100% anerkannt hatte und vom bislang hartnäckig vorgebrachten Einwand des Mitverschuldens vollständig abgerückt ist.

Bereits der Anscheinsbeweis sprach hier für eine Alleinhaftung des Verursachers. Es wäre daher durch die Versicherung der Anscheinsbeweis zu widerlegen gewesen, wobei Maßstab dabei der Strengbeweis § 286 ZPO ist.  Eine Mithaftung kann nur bei feststehendem oder vermutetem Mitverschulden in Betracht kommen. Weder stand ein solches hier jedoch fest, noch gab es tragfähige Anhaltspunkte für eine derartige Vermutung. Es war klar von der Alleinschuld des PKW-Fahrers auszugehen. Für ihn war der Unfall vorhersehbar und vermeidbar. Der PKW-Fahrer unterlag sogar erhöhten Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO, wonach er hat sich so zu verhalten gehabt hätte, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Erforderlichenfalls hätte sich der Unfallverursacher bei der Ausfahrt sogar einweisen lassen müssen.

Die Alleinhaftung des Verursachers deckt sich auch mit der gängigen Rechtsprechung in ähnlichen Konstellationen. Bei Vorfahrt des Radfahrers und sonstigen Vorfahrtsverstößen des Kfz-Fahrers ist schon in der Regel von einer Alleinhaftung des Kfz-Fahrers auszugehen (Grüneberg in Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 14. Aufl. 2015, Rn 371 m.w.N.). Kollidiert ein Radfahrer, der erlaubtermaßen auf der Vorfahrtsstraße den für ihn linken Radweg benutzt, mit einem aus einer Einmündung kommenden PKW, so haftet der Fahrer des Kfz zu 100% (Grüneberg a.a.O., Rn 370 a.E.). In der Fallgruppe „Vorfahrt des Radfahrers, Radfahrer benutzt linken Radweg“ bei Grüneberg ist bei Unfällen nach dem 01.10.1998 ohnehin stets eine Haftungsverteilung zugunsten des Radfahrers vorzunehmen (Grüneberg a.a.O., Rn 370, Vorbemerkung).

Verschlimmerung eines Empyems durch kontraindizierte Injektion ist ärztlicher Kunstfehler

Wird bei manifesten Entzündungszeichen mit Hitze, Funktionseinschränkung, Schmerzen und Schwellung im Schulterbereich eine Kortisonspritze mit den Wirkstoffen Lido und Triam injiziert, stellt dies einen Behandlungsfehler dar, wenn das Zeitintervall zwischen den Injektionen zu kurz gewählt ist (Leitsatz med|re)

Die von Fachanwalt für Medizinrecht Leitner vertretene Patientin klagte über einen längeren Zeitraum über Schmerzen im Schulterbereich. Zur Linderung der Beschwerden erhielt sie diverse Kortisoninjektionen. Eine Linderung stellte sich jedoch nur bedingt ein. Die letzte Injektion mit den Wirkstoffen Lido und Triam, die vom Urlaubsvertreter des eigentlich behandelnden Arztes verabreicht worden war, war sodann kontraindiziert. Denn das Zeitintervall war hier mit weniger als drei Wochen Abstand zwischen den Injektionen zu kurz gewählt und es lagen zum Behandlungszeitpunkt bereits Zeichen eines Schulterempyems vor, die eine weitere differentialdiagnostische Abklärung erforderten. Ein Zeitraum von drei Wochen hätte noch der Zulassungsinformation des Herstellers entsprochen. Die Injektion hatte zwar das Empyem nicht erzeugt, aber ich richtungsgebender Weise verschlimmert. Nach langem und schmerzvollem Leidensweg mit mehreren Operationen leidet die Patientin nun unter einer invaliden Schulter. Die Patientin ist lebenslang auf Behandlungen angewiesen. Der Behandlungsfehler, der Gesundheitsschaden sowie die Kausalität zwischen Arztfehler und Schaden sind vom eingeschalteten Gutachter bestätigt.

Fachanwalt Leitner ist in die außergerichtliche Regulierung eingetreten. Der Schadenswert ist bei diesem Beschwerdebild mit Einschränkungen der Patientin in allen Lebenslagen hoch.

Rechtlich enthält die Arzthaftungsangelegenheit die Besonderheit, dass ein Urlaubsvertreter des eigentlich behandelnden Arztes den Behandlungsfehler begangen hatte.

Wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Arztes

Die Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungsplicht des Arztes kann bei umfangreichen Eingriffen einen groben Behandlungsfehler darstellen (Leitsatz med|re)

Das Patientenrechtegesetz normiert in § 630c Abs. 3 BGB die Plicht des Behandlers, den Patienten vor dessen Behandlung über die voraussichtlichen Kosten zu informieren, wenn er weiß, dass die Kosten von Dritten nicht übernommen werden oder dafür hinreichende Anhaltspunkte bestehen. Diese Informationsplicht im Zusammenhang mit den finanziellen Folgen einer Behandlung hatte die Rechtsprechung auch schon vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes als wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Arztes in Grundzügen entwickelt. Das Patientenrechtegesetz selbst normiert zwar keine Folge, wenn der Behandler gegen diese Pflicht verstößt. Die Gesetzesbegründung sieht in diesem Fall jedoch einen Schadensersatzanspruch des Patienten gegen den Behandler vor, der im Wege der Aufrechnung oder der Freistellung dem Arzt in der Höhe entgegengehalten werden kann, die ein Dritter (Krankenkasse, Versicherung) nicht übernimmt. Im Falle eines gesetzlich versicherten Patienten hat nun ein Oberlandesgericht mit aktuellem Urteil aus 2017 sogar einen groben Behandlungsfehler festgestellt, weil der dort tätige Zahnarzt eine Behandlung im Gesamtumfang von etwa 100.000 Euro geplant und begonnen hatte, und zwar bereits zwei Tage nach der Erstvorstellung des Patienten. Die vom Zahnarzt vorgelegten 57 Formulare, die die Behandlung nebst Kosten beschrieben, akzeptierte das Oberlandesgericht bei diesem Umfang nicht als hinreichende wirtschaftliche Aufklärung. Der zugezogene Sachverständige stufte das Vorgehen ebenfalls als „völlig unverständlich“ ein, zumal es deutlich kostengünstigere Behandlungsalternativen gegeben hätte.

Potenziell gesundheitsgefährdender Metallabrieb bei Hüft-TEP

Hüftgelenksprothesen bestimmter Hersteller (Zimmer GmbH, DePuy u.a,) können auch aktuell und in Zukunft noch gefährdend für Patienten sein. Verschaffen Sie sich hier einen kurzen Überblick, was technisch dahinter steckt und wie man das Problem rechtlich erfasst.

Für Aufsehen hatte vor einigen Jahren die Berichterstattung über Fehlerhaftigkeit von Hüftgelenkstotalendoprothesen (Hüft-TEP) verschiedener Hersteller, unter anderem DePuy und Zimmer GmbH (Schweiz), gesorgt. Bei einigen Prothesentypen ist es zu ungewolltem Metallabrieb gekommen, der die Gesundheit des betroffenen Patienten potenziell gefährden kann. Vorausgegangen war diesem Problem eine Diskussion in der wissenschaftlichen Literatur zu Hüftprothesen schon vor dem Jahr 2003.

Der Hersteller einer Prothese muss bei der Konstruktion darauf achten, nur Materialien zu verwenden, die zu einer möglichst geringen sogenannten galvanischen Korrosion neigen. Dabei handelt es sich um einen chemischen Vorgang, der dann auftritt, wenn Metalle mit unterschiedlicher Potenzialdifferenz über ein leitendes Medium miteinander verbunden sind. Enthält beispielsweise der Schaft einer Prothese einen gewissen Anteil von Nickel und ist der Schaftkonus aus einer Titanlegierung, so läuft unter Beteiligung von Ionen so lange eine passive chemische Reaktion der Materialien untereinander ab, bis sich die elektrochemischen Potentiale aller Systemkomponenten angeglichen haben. Das Blut und die Gewebsflüssigkeit des Patienten bilden dabei das leitende Medium. Der so stattfindende Metallabrieb und dessen Abriebmenge sind durch eine topographische Tastschnittmessung nachweisbar und durch Differenzbetrachtungen errechenbar. Grundsätzlich gilt dabei, dass je größer der Kopfdurchmesser der Gelenkgleitpaarung ist, umso größer auch die Abriebmenge ist, da die Größe Einfluss auf das Reibmoment nimmt. Umgekehrt garantiert ein größerer Kopfdurchmesser allerdings wohl nicht automatisch eine höhere Stabilität der Prothese.

Je nach Menge des Abriebs ist dies potenziell gesundheitsschädlich für den Patienten. Abgesehen vom frühzeitigen Verschleiß der Prothese mit dem Erfordernis einer an sich nicht nötigen Revisionsoperation (Gelenkkopf- und Pfannenwechsel), besteht durch Gewebsbelastung mit Metallionen und –partikeln insbesondere auch die Gefahr einer erheblichen Osteolyse (Knochenabbau), der sich unterschiedlich darstellen kann. Daneben droht die Gefahr eines Pseudotumors (Scheingeschwulst) und von Seromen (Ansammlung von Absonderungen in Gewebehohlräumen).

Die Hersteller fehlerhafter Prothesen haften nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) für alle kausal verursachten immateriellen und materiellen Schäden des Patienten sowie für mögliche Zukunftsschäden, die im Wege eines Feststellungantrages abzusichern sind. Als Hersteller gilt dabei auch derjenige, der ein Produkt, welches außerhalb des Geltungsbereichs des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hergestellt wurde (z.B. USA, Schweiz), nach Deutschland importiert und hier vertreibt. Fehlerhaft ist die Prothese dann, wenn sie unter einem Nachteil für den Benutzer leidet, welcher dessen Sicherheitserwartungen enttäuscht und diese Sicherheisterwartungen berechtigt waren. Bei Medizinprodukten ist dabei derjenige Patientenkreis maßgebend in die Beurteilung einzubeziehen, an den das Medizinprodukt gerichtet ist – in diesem Fall also an alle Patienten, die eine Hüftprothese benötigen. Es kommt demnach darauf an, welche berechtigten Anforderungen an die Sicherheit und die Funktion einer Hüft-TEP zu stellen sind. Bei Patienten sind diese berechtigterweise als besonders hoch einzustufen.

Schmerzensgeld für Angehörige (Hinterbliebenengeld)

Nach Ansicht von Fachanwalt für Medizinrecht Leitner ist eine gesetzliche Reglung für einen eigenen Anspruch naher Angehöriger auf Schmerzensgeld bei Tötung eines Menschen längst überfällig.

Dem Gesetz war bislang der Anspruch naher Angehöriger eines verstorbenen Menschen auf ein eigenes Schmerzensgeld fremd. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte allerdings schon in den 70-iger Jahren erkannt, dass das praktische Leben Konstellationen bietet, in denen die reine Adäquanzlehre versagt und die Schutzbereichstheorie einen besseren dogmatischen Standort bietet, um Fragen der Ersatzfähigkeit bestimmter Schäden richtig zu verorten. Hier ist letztlich auch der sogenannte „Schockschaden“ rechtsdogmatisch angesiedelt. In der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 11.05.1971 (Az. VI ZR 78/70) formulierte der BGH folgenden Leitsatz zu dieser Thematik:

„Die seelische Erschütterung (“Schockschaden”) durch die Nachricht vom tödlichen Unfall eines Angehörigen begründet einen Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher des Unfalls nicht schon dann, wenn sie zwar medizinisch erfaßbare Auswirkungen hat, diese aber nicht über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Der Schutzzweck des BGB § 823 Abs. 1 deckt nur Gesundheitsbeschädigungen, die nach Art und Schwere diesen Rahmen überschreiten.“

Darauf aufbauend hat die Rechtsprechung über die Jahrzehnte hinweg Grundsätze entwickelt, nach denen auch ein Anspruch auf billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) bei nahen Angehörigen bestehen kann und damit gleichzeitig die Lücke im Gesetz nicht nur erkannt, sondern auch gefüllt.

Die Bundesregierung hat sich dieses Problems jetzt angenommen und versucht durch ihren Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld die Lücke im Gesetz nun selbst zu schließen. Wie bei neuen Gesetzesvorhaben fast immer, bedient sich der Gesetzgeber dabei auch der bisherigen Rechtsprechung zum Schockschaden und beschränkt den Kreis der Anspruchsberechtigten auf diejenigen Personen, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen. Dieses liegt nach dem Willen des Entwurfs regelmäßig dann vor, wenn nahe Familienangehörige betroffen sind. Dazu zählen der Ehegatte, der Lebenspartner, die Eltern und die Kinder des Getöteten. Für diesen Personenkreis soll eine gesetzliche Vermutung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses normiert werden. Anspruchsberechtigt können daneben aber auch andere Personen sein, die jedoch die Umstände, aus denen sich ihr besonderes persönliches Näheverhältnis zum Getöteten ergibt, darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen. Kritikwürdig an dieser Stelle ist nach Ansicht von Fachanwalt Leitner, dass sich die gesetzliche Vermutung des persönlichen Näheverhälntisses auf einen ausgesprochen engen Kreis der Ersatzberechtigten beschränkt. So sind beispielsweise (Zwillings-)Geschwister von der gesetzlichen Vermutung nicht erfasst, obwohl in aller Regelmäßigkeit hier ebenfalls sehr enge Verbindungen bestehen.

Der Gesetzgeber schätzt die jährlichen Mehrkosten für die Versicherungswirtschaft auf 240 Millionen Euro, wobei er von 24.000 Haftungsfällen ausgeht (Summe aus Verkehrsunfällen, medizinischen Fehlbehandlungen, Tötungsdelikten etc. aufgrund Verschulden und/oder Gefährdungshaftung) sowie einer durchschnittlichen Haftungsmasse pro Fall von 10.000 Euro.